[SES-interdisziplinär] VED

A. Fox-Boyer annette.fox-boyer at ivx.de
Mo Nov 12 11:26:35 CET 2018


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

immer wieder werden mir Kinder vorgestellt, sowohl von Eltern als auch Therapeuten, bei denen die Fragestellung im Raum steht, ob es sich bei der Aussprachestörung des Kindes um eine verbale Entwicklungsdyspraxie handelt. In den meisten Fällen ist diese Diagnose bereits nach einigen Fragen eher auszuschließen, was nicht weiter verwunderlich ist, da von der verbalen Entwicklungsdyspraxie nur 1- 3 % aller Kinder mit Aussprachestörungen betroffen sind. Dies lässt sich in vielfältiger internationaler Literatur nachlesen. In Deutschland wird diese Diagnose zurzeit eher inflationär genutzt. Sieht man sich die Anzahl der Fortbildungen und die Foreneinträge in den zahlreichen Netzwerken an, so sollen es unzählige Kinder sein, die betroffen sind. Interessanterweise zeigen die meisten Kinder, bei denen dieser Verdacht geäußert wird, nicht einmal das Kernsymptom der verbalen Entwicklungsdyspraxie, nämlich die inkonsequente Wortrealisation (siehe auch Positionspapier der American Speech and Hearing Association https://www.asha.org/policy/tr2007-00278/). Unter der inkonsequenten Wortrealisation ist zu verstehen, dass das Kind ein Wort nicht immer gleich ausspricht. Dies kann nicht überprüft werden, indem man dem Kind einfach zuhört oder einen typischen Bilderbenenntest durchführt. Wortrealisations-Konsequenz muss explizit abgeprüft werden, indem das Kind innerhalb einer Therapieeinheit ein Set von möglichst 20-30 Wörtern unterschiedlicher Silbenlänge und Silbenkomplexität dreimal benennt. Die PLAKSS-II bietet hierfür den Inkonsequenztest an, der aber nicht bei allen Kindern durchführbar ist. Bei sehr kleinen Kindern, d.h. ab Ende zwei Jahren, oder bei Kindern mit sehr geringen Wortschatz kann diese Überprüfung daher geschehen, indem man Eltern um ein Wortschatztagebuch bittet und die darin enthaltenen Wörter innerhalb einer Sitzung dreimal elizitiert. Von einer ungewöhnlich hohen Inkonsequenzrate ist laut Dodd (1995/2005) nur dann zu sprechen, wenn mindestens 40 %, in der Regel eher 60-70 % dieser Wörter inkonsequent ausgesprochen werden.

Ein weiteres Kernsymptom ist, dass es dem Kind nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten möglich ist, die für das Alter angemessenen Vokale und Konsonanten der Muttersprache spontan, ohne Anstrengung zu imitieren (mangelnde Stimulierbarkeit).  Insgesamt fällt es den Kindern sehr schwer, Laute/Silben/Wörter nachzusprechen (eingeschränkte Willkürmotorik). Dies steht im Gegensatz zu den Fähigkeiten von Kindern mit inkonsequenter phonologischer Störung, denen dies ohne Schwierigkeiten möglich ist. Generell sind diese besser im Nachsprechen als im spontanen Sprechen. Damit liegt im Bereich Nachsprechen/Stimulierbarkeit ein Faktor vor, der die beiden Gruppen IPS und VED voneinander abgrenzt. 

 

Allein, dass Kinder sehr schwer zu verstehen sind, bedeutet nicht, dass eine verbale Entwicklungsdyspraxie vorliegt. Bei unzureichender Diagnostik kann hier eine konsequente phonologische Störung oder eine inkonsequente phonologische Störung (Dodd, 2005; McLeod & Baker, 2017)  fälschlicherweise ignoriert werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da alle drei Diagnosen eines unterschiedlichen therapeutischen Vorgehens bedürfen.  Zum Wohle der Kinder möchte ich dazu aufrufen, dass mit differenzialdiagnostischen Maßnahmen sorgfältig überprüft wird, welche Diagnose tatsächlich vorliegt. Dabei ist die Abgrenzung der inkonsequenten phonologischen Störung von der verbalen Entwicklungsdyspraxie sicher immer wieder schwierig. Mit Kollegen arbeite ich zurzeit an einem internationalen Kriterienkatalog um diese Aufgabe zu erleichtern. Einiges dazu haben Anne Schulte-Mäter, Sandra Neumann und ich aber schon im „Handbuch Sprachtherapie bei Kindern“ im Reinhardt Verlag zusammengetragen und ausführlich auf dem letzten dbl Kongress vorgestellt.

 

Viele Grüße

Annette Fox-Boyer

 

Dodd, B. (1995/2005) Differential diagnosis of speech sound disorders in children. London: Whurr/Wiley Publishers 

McLeod, Sh. & Baker, E. (2017) Children’s speech An Evidence-Based approach to assessment and intervention. Sydney: Pearson.

 

 

Prof. Annette Fox-Boyer PhD MSc

Professorin für Theoriebildung in der Logopädie

 

E U | F H 

Europäische Fachhochschule Rhein/Erft GmbH

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